Papua Neuguinea, Bahr und das Kino

Hermann Bahr und Kino ist ein so wenig ergiebiges Thema, dass ich die Augen und Ohren erst recht offen halte. Wie kann es sein, dass der Mann von Übermorgen so viel wahrnimmt, nur beim Kino einen blinden Fleck hat? 1931 bis 33 arbeitet er zumindest an einer Adaption des "Meisters" für den Film und bittet seinen Theaterstück-Verleger Ahn & Simrock sich im Fahrwasser der deutschen Verfilmung des "Konzerts" (1931) (mit Oskar Karlweis, dem Sohn von Bahrs Freund Carl Karlweis) unter der Hand nach einem Verkauf weiterer Filmrechte umzuhören. Unter der Hand vermutlich deshalb, weil der Wirtschaftskrach 1929 einen massiven Einbruch in den Finanzen der Bahrs gebracht hatte. Diese späte Beschäftigung mit Film lässt auch Schnitzler in einem seiner letzten Kontakte bei Bahr um Tipps anfragen, wie man Filmrechte verscherbelt. Aber außer der verzweifelten Hoffnung, mit dem Tonfilm Geld zu machen, gibt es nicht mehr viel Beschäftigung Bahrs mit Film.

1913, als der deutsche Reichstag die "Kinofrage" diskutiert, wird auch eine Gedenkschrift der kinematographischen Fachpresse vorgelegt, die Gutachten anführt von Albert Bassermann, Harry Walden, Josef Giampetro, Dr. Carl Hagemann, Hermann Bahr, Hans Heinz Ewers, Johannes Schlaf, Victor Holländer und anderen, die erklärt hätten, „daß der Kinematograph als ein neues Ausdrucksmittel der Kunst anzusprechen sei.“ (Berliner Börsen-Courier, 21. 6. 1913). Über diese (vermutlich nicht erhaltene) Gedenkschrift schreibt mir freundlicherweise Prof. Dr. Helmut Diederichs:

Es reichte der Fachpresse und der Kinobranche damals schon, wenn ein Schriftsteller ganz allgemein bestätigte, das Medium Kino habe künstlerische Möglichkeiten. Und schon war man Kronzeuge pro Kino. Es gab 1912/13 eine Reihe von Umfragen in der deutschen Tagespresse und der Fachpresse dazu - viele Schriftsteller, Politiker und Persönlichkeiten wurden pro und contra zitiert - Hermann Bahr ist nicht darunter.
Nun habe ich aber zumindest eine Umfrage gefunden, in der Wiener Abendpost vom 4.4.1912:
Vor einigen Monaten wurde in Christiania über dieses Thema eine weitläufige Enquete abgehalten. Mit Ausnahme einiger Schauspieler, die für das Kino arbeiten, sprach man ihm jedes künstlerische Eigenleben ab. Bei uns fand Hermann Bahr eine schöne Kinovorstellung künstlerischer als ein schlechtes Theater. Was natürlich ein sehr fragwürdiges Urteilen ist. Das geschnitzte Figürchen des Papua-Negers hat zur Kunst ein innigeres Verhältnis als der großartigste Film, ist doch das Figürchen immerhin der Niederschlag von Seele, die unmittelbare Regung bildnerischen Ausdrucksbedürfnisses. Ans Kino ist noch keine Seele verloren gegangen.
Fünf Jahre später wird aber deutlicher, warum Bahr sich nicht für das Kino interessiert. Er schreibt in "Französische Romane" (Französische Romane. [I]. Hochland, 15 (1918) #Februar, 580-588. Buchausgabe: Bilderbuch, 148-156, hier: 155) über die Grenzen eines Romans:
Aber daß er nichts zu sagen hat, niemals, wofür nicht die Generation vor ihm in der von ihr geschaffenen Sprachkultur schon den Ausdruck bereitgestellt hätte, das ist auch wieder seine Grenze. Das läßt uns zuweilen, wenn wir uns eben noch auf der Heide Lears glaubten, argwöhnen, im Kino zu sein: aus der künstlerischen Wirkung gleiten wir dann auf einmal in eine bloß mechanische herab.