Einleitung
Unter dem Titel „Selbstbildnis“ legt Hermann Bahr 1923 ein umfassendes Verzeichnis der so zahlreichen wie unterschiedlichen Stationen und Selbst-Entwürfe seines Lebens vor. Der besondere Reiz dieser Autobiographie liegt in der Spannung zwischen dem Versuch, eine kohärente Entwicklung oder Entfaltung des eigenen Selbst anzudeuten und der Praxis, auch Disparates mitunter geradezu schonungslos zu verzeichnen. So oszilliert Bahrs „Selbstbildnis“ zwischen tradierten biographischen Narrativen und einer Logik des Archivs, in dem nicht nur den Ereignissen der Zeit, sondern auch der Macht des Zufalls eine besondere Relevanz zukommt:Den Reiz [...], den man meiner Persönlichkeit zuschreibt, hat sie daher, daß mir beschieden war, entscheidenden Menschen, entscheidenden Zeiten, entscheidenden Ereignissen zu begegnen.
Bibliografie
Autor: | Hermann Bahr |
Titel: | Selbstbildnis |
Ort: | Berlin |
Verlag: | S. Fischer |
Jahr: | 1923 |
Seiten: | 310 |
Aufl.: | 1.-4. Aufl. 4000 Exemplare |
Anm.: | Widmung: "Meiner Frau. München, Ostern 1923." Eine erste Fassung des Manuskripts schickte Bahr am 4. März 1922 an S. Fischer. Im Neuen Reich, 5 (1923) #41, 933. (14.7.1923) wird aus dem Verlagsprospekt zitiert, dass das Buch passend zu Bahrs 60. erscheint – und folgendes Urteil gefällt: "Das Buch ist natürlich nur eine Lektüre für reife Menschen." |
Kritische Schriften
Band 18
Herausgegeben von Gottfried Schnödl 2011 ISBN: 9783897396623 VDG WeimarErstdrucke
Am 3. Oktober 1920 beginnen in Das Neue Reich die "Erinnerungen" Bahrs zu erscheinen. Insgesamt erscheinen sie in 32 Teilen, die unmittelbar vor der Buchausgabe abgeschlossen sind. Außer der Titeländerung von "Erinnerungen" zu "Selbstbildnis" sind keine gravierenden Umgestaltungen vorgenommen worden. Selbst die Kapiteleinteilung, die das Neue Reich in den Untertiteln bringt, verraten schon, ob ein Teil in der Buchausgabe als eigenes Kapitel stehen wird, oder als Teil eines Kapitels. Ungewöhnlich ist also nicht die Entsprechung der Erstdrucke mit der Buchausgabe, sondern der für Bahr verblüffend lange Entstehungszeitraum. Die Buchausgabe datiert am Ende des Textes "München, Pfingsten 1923", fast drei Monate vor dem letzten Teil im Neuen Reich. Das beweist, wie die wechselnden Abstände in der Veröffentlichung zeigen, dass das Buch einerseits sehr streng konzipiert war, andererseits erst parallel zur Veröffentlichung geschrieben wurde und nicht 1920 bereits als abgeschlossenes Manuskript vorlag. Es demonstriert dabei wiederum ein (in aller Altersweisheit, die Bahr im "Selbstbildnis" zelebriert) nicht wankelndes Selbstbewusstsein, wenn der alte Bahr auch bei seiner Autobiographie nicht auf Unsicherheiten, Zweifel und Wandel in den Anschauungen mit Ergänzungen, Streichungen und Überarbeitungen reagiert. Andererseits ist es natürlich voll von Verklärungen. Das Geringste ist, dass sich nicht immer alle Daten mit anderen Quellen in Einklang bringen lassen. Nachsicht empfiehlt sich auch darin zu üben, dass eine Rückschau die verschiedenen Extreme seines Lebens mit Altersmilde übertüncht. Die problematischte konzeptionelle Entscheidung wird erst durch den Entstehungszusammenhang im katholisch-monarchistischen Blatt Joseph Eberles deutlich. Das Neue Reich leitet den Beginn des Abdrucks folgendermaßen ein:Wir freuen uns, im 'Neuen Reich', in einer Serie von kleinen Abschnitten, die 'Erinnerungen' Hermann Bahrs veröffentlichen zu können. Bahrs Leben spiegelt die Kultur der letzten fünf Jahrzehnte und zugleich die Überwindung dieser Kultur. Seine Lebensgeschichte, die lange Zeit die Geschichte suchend-irrender Moderne und dann die Geschichte kirchlichen Glaubens ist, hat in ihrem Endergebnis erzieherische Wirkung.Und Kapitel 16 erhält ebenfalls einen deutlichen Lesehinweis:
Im Hinblick auf die letzten und dermaligen Themate der 'Erinnerungen' Hermann Bahrs, in denen sich nicht nur eine große Individualität, sondern ein ganzes Zeitalter spiegelt, können wir nicht umhin, auf das Interessante hinzuweisen, das darin liegt, daß der Mann, der in seiner Jugend so radikal freigeistig und ungebunden war, nach einer Odyssee von Studien und Erfahrunge zum katholischen Kredo heimfand, und daß der Mann, der als Student ein so ausgeprägter Schönerianer, Alldeutscher, Bismarckschwärmer war, in seinem reifen Alter zum besonderen Lobsänger der österreichischen Idee geworden ist.Unverhohlen wird hier auch Bahrs Motivation ausgesprochen: Alle Wege führen in den Petersdom, Gott hat ihm seine Bestimmung erst am Ende seines Lebens gegeben. Die zentrale Bedeutung des "Selbstbildnisses" für die Biographie Bahrs wie der Zeit muss keineswegs bestritten werden. Es empfiehlt sich bei der Lektüre jedoch, gerade das Leserliche, das Geformte der Darbietung kritisch zu betrachten. Wobei es nicht so schlecht ist, dass die andere Seite des Januskopfes ist, dass es sich beim "Selbstbildnis" um eines der zugänglichsten Bücher Bahrs handelt, das sich mit Gewinn lesen lässt.
Selbstbildnis Seiten | Das Neue Reich Band | Heft | Seiten | Datum | |
---|---|---|---|---|---|
1-6 | Kapitel 1 | 3 | #1 | 12-13 | 3.10.1920 |
6-11 | Kapitel 2 | 3 | #9 | 176-177 | 28.11.1920 |
11-24 | Kapitel 3 | 3 | #11 | 217-220 | 12.12.1920 |
24-32 | Kapitel 4 | 3 | #14 | 280-282 | 2.1.1921 |
33-44 | Kapitel 5 | 3 | #19 | 377-379 | 6.2.1921 |
44-59 | Kapitel 6 | 3 | #24 | 473-477 | 13.3.1921 |
60-72 | Kapitel 7 | 3 | #28 | 563-566 | 10.4.1921 |
72-85 | Kapitel 8 | 3 | #34 | 678-681 | 22.5.1921 |
85-94 | Kapitel 9 | 3 | #42 | 809-811 | 17.7.1921 |
94-103 | Kapitel 10 | 3 | #48 | 917-919 | 28.8.1921 |
103-117 | Kapitel 11 | 4 | #11 | 196-199 | 11.12.1921 |
117-125 | Kapitel 12 | 4 | #21 | 400-402 | 19.2.1922 |
125-134 | Kapitel 13 | 4 | #27 | 518-520 | 2.4.1922 |
134-147 | Kapitel 14 | 4 | #27 | 818-821 | 16.7.1922 |
147-166 | Kapitel 15 | 5 | #6 | 112-116 | 11.11.1922 |
167-179 | Kapitel 16, 1. Teil | 5 | #8 | 152-155 | 25.11.1922 |
179-175 | Kapitel 16, 2. Teil | 5 | #9 | 173-175 | 2.12.1922 |
186-194 | Kapitel 17, 1. Teil | 5 | #12 | 239-241 | 23.12.1922 |
195-202 | Kapitel 18, 2. Teil | 5 | #13 | 263-265 | 30.12.1922 |
202-208 | Kapitel 18, 1. Teil | 5 | #15 | 310-312 | 13.1.1923 |
208-214 | Kapitel 18, 2. Teil | 5 | #16 | 331-332 | 20.1.1923 |
214-222 | Kapitel 19, 1. Teil | 5 | #20 | 417-418 | 17.2.1923 |
223-230 | Kapitel 19, 2. Teil | 5 | #21 | 440-442 | 24.2.1923 |
231-236 | Kapitel 20, 1. Teil | 5 | #22 | 459-560 | 3.3.1923 |
237-243 | Kapitel 20, 2. Teil | 5 | #23 | 490-491 | 10.3.1923 |
243-255 | Kapitel 21 | 5 | #26 | 556-558 | 31.3.1923 |
255-262 | Kapitel 22, 1. Teil | 5 | #28 | 603-605 | 14.4.1923 |
263-270 | Kapitel 22, 2. Teil | 5 | #30 | 648-649 | 28.4.1928 |
271-276 | Kapitel 23, 1. Teil | 5 | #33 | 715-717 | 19.5.1923 |
276-283 | Kapitel 23, 2. Teil | 5 | #34 | 742-744 | 26.5.1923 |
283-293 | Kapitel 24, 1. Teil | 5 | #36 | 792-794 | 9.6.1923 |
293-301 | Kapitel 24, 2. Teil | 5 | #37 | 818-819 | 16.6.1923 |
Rezensionen
Im Archiv ab dem 21. Juli 1923.
Dr. Josefine Widmar: Hermann Bahrs Selbstbildnis. In: Reichspost, 30 (1923) #199, 8-9. (22.7.1923)
Fritz Engel im Berliner Tageblatt, 22.7.1923, Morgen-Ausgabe, 4. Beiblatt.
Dr. Robert Drill in der Frankfurter Zeitung, 10.8.1923 (1. Morgenblatt)
Herald Tribune, New York, 12.12.1926 [Darin wird behauptet, es wäre "now reissued in an enlarged form"]
P.S.: Les souvenirs d'Hermann Bahr. In: Les Temps, 14.12.1923
M. Westphal: Die besten deutschen Memoiren. Leipzig: Koehler & Volckmar 1923, 290-291. [Verriss, die Zusammenfassung lautet: "Substanzlos"].
Louis Gillet: Le Témoignage d'Hermann Bahr. In: Le Gaulois, 59 (1924) #16942 , 3. (23.2.1924)
M. [=Anton Mayer?] in: Bayerische Blätter für das Gymnasialschulwesen, 60 (1924), 307.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel | Seiten |
---|---|
I | 1-6 |
II | 6-11 |
III | 11-24 |
IV | 24-32 |
IX | 85-94 |
V | 33-44 |
VI | 44-59 |
VII | 60-72 |
VIII | 72-85 |
X | 94-103 |
XI | 103-117 |
XII | 117-125 |
XIII | 125-134 |
XIV | 134-147 |
XIX | 214-230 |
XV | 147-166 |
XVI | 167-186 |
XVII | 186-202 |
XVIII | 202-214 |
XX | 231-243 |
XXI | 243-255 |
XXII | 255-270 |
XXIII | 271-283 |
XXIV | 283-301 |
Kommentiertes Inhaltsverzeichnis
- I
- II
- III
- IV
- V
- VI
- VII
- VIII
- IX
- X
- XI
- XII
- XIII
- XIV
- XV
- XVI
- XVII
- XVIII
- XIX
- XX
- XXI
- XXII
- XXIII
- XXIV