Mitarbeit "Freie Bühne"

In seinem "Tagebuch" berichtet Bahr dreißig Jahre später seine Rückkehr nach Paris so:
Aus dieser Seligkeit riß mich ein Ruf nach Berlin. Ich sei nötig, schrieb mir Arno Holz, es gehe jetzt dort los, ich würde ja die Stadt kaum wiedererkennen! Und für Unterkunft sei gesorgt, die neue Wochenschrift der Jugend, von einem kühnen Verleger namens Fischer begründet, sei bereit, meinen Roman aufzunehmen, und mich selber in Person dazu.
Im "Selbstbildnis" erinnert sich Bahr ähnlich:
Ich war noch keine vierzehn Tage dort, vergeblich mich allen möglichen deutschen Zeitungen als Pariser Korrespondenten anbietend, als ein stürmischer Brief von Arno Holz kam: "Hurra, in Berlin geht’s endlich los, wir haben eine freie Bühne gegründet, das Alte kracht in allen Fugen, ein junger Verleger ist gefunden, dieser tapfere S. Fischer will eine revolutionäre Zeitschrift gründen, sie soll auch freie Bühne heißen, Brahm zeichnet als Herausgeber, wollen Sie sie mit mir redigieren?"[2]
Das ist eine historische Verklärung. Gerd Susen, der Herausgeber des Briefwechels Bölsches mit den Autoren der Freien Bühne, betont, dass diese Formulierung nur in einem ganz kurzen Zeitrahmen wirklich Sinn ergibt: Dezember 1889 - Januar 1890. Bahr ist aber bis Ende Februar nicht in Paris. Zwar ist kein Brief von Holz an Bahr aus diesen Tagen erhalten, doch eine Antwort vom 1. März 1890 aus Paris:
Paris, 1. März 90
31 Boul. St. Michel
Sehr verehrter Herr Holz!
Verzeihen Sie dem Wanderer die Verspätung der Antwort. Sehr gerne arbeite ich an Ihrem Blatte. Aufsätze über Neuigkeiten der Franz. Literatur sollen Ihnen nächstens zugehen.
Außerdem will ich jetzt meine Reisenoten – Spanisches, Afrikanisches, Provençalisches, ––– verarbeiten. Können Sie solche Reisebriefe (etwa "Sevilla" oder "Tanger" oder "die träumende Stadt" (Avignon) brauchen? Schreiben Sie mir [Auslassung?], unnütze hin- und herschicken wäre zu vermeiden [!]. In einem Monat ist mein Roman fertig, der freilich -- einer ästhetischen Spielerei zuliebe-- "Novelle" genannt wird. Neonaturalistisch, stenoselisch, was man hier "decadent" nennt. Möchten Sie mir die Liebe tun, Fischer zu fragen, ob er geneigt wäre-- entscheiden, natürlich, soll er sich erst angesichts des Manuscriptes, -- den Verlag zu übernehmen. Aber es ist sehr, was der Bourgeois "anstößig" nennt.
Wenn Sie irgend eine Berliner Zeitung wüssten, die einen Pariser Corresp. brauche [!] u. zahlen kann - ich habe gar kein Geld. "Familie S." habe ich nicht erhalten, leider. Antworten Sie bald. Denke oft an die Berliner Tage. Herzliche Grüsse Bahr [3]
Wie Gerd Susen weiter betont, ist ersichtlich, dass Bahr zu diesem Zeitpunkt also noch nichts von seinem späteren (kurzen) Glück als Redakteur der Freien Bühne wusste.
Literatur
[1] Tagebuch. 1. Mai. In: Kritik der Gegenwart, 127-134
[2] Selbstbildnis, 254.
[3] AM Ba Kiste 56 Abschriften
Datum
Ereignistyp