Noch einmal Martha Berger. War das Buch ein Skandal? Nein, eher nicht. Verdient es heute gelesen zu werden? Mit Sicherheit, gerade wegen seiner drastischen Schilderung eines Frauenlebens. Ist diese Schilderung echt? -- Hermann Bahr hat im Salzburger Volksblatt vom 7. Dezember 1925 (#278, 6) sein Tagebuch aus dem Neuen Wiener Journal nachdrucken lassen. Der Artikel bekam den Titel: Hermann Bahr: Martha Berger. Ehrenrettung des Modells durch Hermann Bahr. Darin betont er, dass er das Buch nur nach literarischen Qualitäten begutachtet und für gut befunden habe, jedoch nicht gewusst hätte, dass damit jemandem geschadet werden sollte. Nunmehr fand ich im Nachlass, Kiste Biographisches, einen Umschlag mit Aufschrift von Anna Bahr-Mildenburg: Salzburger Angelegenheit Roman Martha Berger, das neben zwei Briefen von Adolf Pereira an Bahr, auch folgendes Protokoll enthält:
ProtokollRelevant ist, von den beiliegenden Briefen Pereiras, noch folgende Stelle:
Aufgenommen in Salzburg am 22./11 1925 9 Uhr Vm.
Angelegenheit
Herr Lt. i. D. Res. Franz Schreiner wohnhaft in Salzburg Berggasse 10 entnimmt aus dem Geleitworte des Herrn Hermann Bahr, Schriftsteller aus München, Barerstraße 50, zum Romane "Martha Berger das Leben einer Frau" eine Spitze gegen seine Person. Anwesende: Als Vertreter des Herrn Schreiner: Generalmajor a. D. Eduard Baron Albori und Oberst a.D. Oswald Prack
Als Vertreter des Herrn Hermann Bahr: Oberst a.D. Adolf Bar. Pereira und Hauptmann a.D. Felix v. Zamboni
Aus den heutigen Darlegungen der Vertreter des Herrn Bahr ist zweifellos festgestellt, dass derselbe bei der Verfassung des Geleitwortes zum Romane "Marta Berger" angenommen hatte, dass der Held desselben eine für die Handlung komponierte Figur sei, was vom Verfasser des Romanes auch ausdrücklich Herrn Hermann Bahr gegenüber betont wurde. Es lag daher Herrn Bahr ferne, durch sein Geleitwort eine bestimmte Person, Herrn Schreiner, denn er übrigens weder dem Namen nach noch persönlich kannte, zu treffen. Es ist selbstredend, dass Herr Bahr sich einer solchen Kritik überhaupt enthalten hätte, wenn er gewusst hätte, dass das inkriminierte BUCH aus Rache gegen Herrn Schreiner verfasst wurde und verbreitet werden sollte. In loyaler Weise ist Herr Bahr daher auch bereit, auf geeignetem Wege in einer Wiener Zeitung und durch die Presse in Salzburg zu erklären:Geschlossen und gefertigt: Salzburg am 22./11 25 10 Vm. [Unterschriften]
- Dass er den genannten Roman von rein literarischen Standpunkte gelesen und beurteilt, sowie das Geleitwort von diesem Gesichtspunkte aus verfasst hat.
- Dass er der festen Überzeugung war, dass die Figuren und Episoden des Romanes für den bestimmten Zweck komponiert wurden, in welchem Sinne er auch vom Verfasser informiert worden ist.
- Dass er daher bedauert, dass das Buch zu unliebsamen Missdeutungen Anlass gegeben hat.
Schreiner fürchtet u. nicht zu Unrecht dass, wenn im Salzb. Volksblatt Ihre Erklärung erscheint, die [Salzburger] Wacht dreckige Glossen machen könnte. Um dies zu verhindern, möchten Sie die Güte haben, L. H. Preussler zu veranlassen: die Wacht diesbzgl. zu knebeln! C'est tout.Das wirft die Frage auf, ob Bahr hier der Form gütlich tut, oder wirklich nicht gewusst hat, dass es um eine reale Schilderung eines Lebens in Salzburg ging. Eine Reaktion Mali Pierhofers ist durch einen Brief Alexander Skuhras im Nachlass Bahrs überliefert (AM 23762Ba): Sie ist empört und weiß nicht, was Bahr sich mit der Veröffentlichung gedacht hat. Sie verweist weiterhin auf die Briefe und eine handschriftliche Erklärung Leitners in ihrem Besitz. Wenngleich eine Detailuntersuchung dazu aussteht, so dürfte doch der Umstand, dass Bahr die Autorin Amalia Pierhofer 1927 nach Neuem frug, eher darauf hinweisen, dass er ihr nicht nur nicht böse war, sondern sie auch weiterhin fördern wollte. Trotzdem dürfte diese Art der Beilegung am Vergessen des Buches einen wichtigen Anteil gehabt haben, weil es so eben nicht mehr gelesen wurde, worin es am wirkmächtigsten ist: Als Schilderung des einfachen Salzburger Lebens einer jungen Frau um 1920.