Denkerei Berlin
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„Jeder gesteht, dass ich etwas bin, aber niemand weiß, wie ich das eigentlich verdiene.“ - Die Bedeutung Hermann Bahrs, dessen Geburtstag sich 2013 zum 150ten Mal jährt, wurde bereits zu dessen Lebzeiten diskutiert. Fraglich war dabei nicht etwa, ob Bahr eine relevante Figur im europäischen Kulturleben darstellte, sondern warum. Der Verweis auf das Werk – so naheliegend er zunächst scheint – macht eine Beantwortung der Frage nicht eben einfacher. Mehr als 100 Bücher, über 150 Buchbeiträge und rund 4000 Artikel entstehen zwischen 1881 und 1934 und machen damit Bahr zu einem der produktivsten Schriftsteller der Moderne. Doch abseits der schieren Größe erschwert die Vielgestaltigkeit des Werks dessen Einordnung. Seine publizierten Meinungen beschränken sich nicht auf Ästhetik und Politik, sondern behandeln Fragen des Fremdenverkehrs, die Welteislehre, den Expressionismus als ‚Augenmusik’, die Homestead laws (Heimstätten), den bösen Goethe, die Verschwendung in Kriegszeiten und Mussolini als religiöses Vorbild Hitlers.
Bereits zeitgenössische Kritiker stehen irritiert vor der Breite des Werks und monieren vor allem dessen Heterogenität. Die Bahrsche Praxis, ständig neue künstlerische Stile, und kulturelle Tendenzen zu erahnen, zu lancieren und bald wieder zu ‚überwinden’ und dabei von einem Bereich in den anderen zu wechseln, verwirrt. Bahr selbst stimmt seinen Kritikern lakonisch zu, wenn er einräumt, er habe „in der That kein Buch [...], wo die anderen mich fänden, wie ich bin“.
Gleichzeitig wird gerade die Vielgestaltigkeit seines Werks zum Ausdruck einer – dezidiert modernen – Qualität umgedeutet, und das nicht nur von Bahr selbst. So schreibt etwa Paul Landau zu Bahrs fünfzigstem Geburtstag: „Bisher war seine Entwicklung von universaler Bedeutung, weil sie so typisch wie keine andere die einzelnen Stadien verkörperte, die die moderne Seele im letzten Vierteljahrhundert zurückgelegt“.
Bahrs Werk könnte demnach als ein Versuch gedeutet werden, auf die latente Überforderung zu reagieren, der sich ein Chronist angesichts der um 1900 drastisch zunehmenden Informationsmengen und der schieren Geschwindigkeit der kulturellen und technischen Entwicklung gegenübersieht. Das Ideal distanzierter Objektivität weicht hier geradezu zwangsläufig der Praxis einer „teilnehmenden Beobachtung“: Bahr wird gleichzeitig zum Kritiker und Trendsetter der Moderne.
Programm, PDF 1.7 MB
Freitag 3. Mai 2013
13.00 | Eröffnung |
13.30 | Claus Pias (Lüneburg) | Schneller wissen. Hermann Bahrs Zeiten. |
14.15 | Konstanze Fliedl (Wien) | Absage: Impressionismus und Moral. Bahrs Begriffsgeschichten. |
14.15 | Yannik Behme (Hannover) | Das Ich ist rettbar - Hermann Bahrs Romane und die Philosophie des "Als Ob" |
15:00 | Pause |
15:30 | Jutta Müller-Tamm (Berlin) | Impressionismus zwischen Griechentum und Grammophon. Klassik als Kategorie moderner Selbstdeutung bei Hermann Bahr. |
16:15 | Alfred Dunshirn | Hermann Bahrs visionäre Dramentheorie im Dialog vom Tragischen. |
17:00 | Pause |
17:30 | Gottfried Schnödl (Lüneburg) | Das Leben ist keine Metapher. Hermann Bahr und die Nationalökonomie. |
18:15 | Gerd-Hermann Susen (Berlin) | Hermann Bahr und die Freie Bühne für modernes Leben. |
Samstag, 4. Mai 2013
9:30 | Martin Anton Müller (Wien) | Der frühe Bahr im späten Rückblick. |
10:15 | Elsbeth Dangel-Pelloquin (Basel) | Mondaine Stimmungsakrobaten. Bahrs und Hofmannsthals Kreation der Moderne. |
11:00 | Pause |
11:30 | Alfred Pfabigan (Wien) | Kraus contra Bahr – revisited. |
12:00 | Stephanie Marchal (Lüneburg) | Generation Kautschukmann. Hermann Bahrs Kunstkritik im Kontext. |
12:45 | Kurt Ifkovits (Wien) | Nichts als die Wahrheit. Bahr und das Archiv. |
Moderation: Christina Wessely (Berlin)